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Prägende Menschen

  • Beitrags-Kategorie:Allgemein
  • Lesedauer:4 min Lesezeit

Meine Freundin Margit ist eine Visionärin und eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Missstände aufdeckt und aufzeigt.

Margit kenne ich schon seit meiner Schulzeit. Da ich eine Ehrenrunde drehen musste, hatte ich das Glück Margit kennenlernen dürfen. Vom Bahnhof aus hatten wir den gleichen Schulweg und ich schloss mich ihr gerne an.

Wir diskutierten über Themen, die meist Margit bewegten und an denen sie uns teilhaben ließ. Häufig waren es Ungerechtigkeiten, die Margit empörten, ob es ein Lehrer war, der Mitschüler schlecht oder ungerecht behandelte oder die große Weltpolitik. Häufig war Margit mit einem Thema beschäftigt und hat dieses in die Runde gestellt. Sie fragte, was möglich ist, dagegen zu unternehmen.

An eine Szene in der Schule erinnere ich mich noch, als sei es gestern gewesen. Diese hat mich nachhaltig beeindruckt und mir gezeigt, dass auch Achtklässler einer Realschule Macht haben, wenn sie zusammenhalten.

Es war Rosenmontag und wir freuten uns alle darauf, dass der Unterricht anders gestaltet wird als üblich. Die meisten Lehrer lasen uns Geschichten vor oder zeigten einen Film, der im weitesten Sinn mit ihrem Unterrichtsfach zu tun hatte. Im Musikunterricht lernten wir ein Sauflied von Mozart. „Freunde lasset uns beim Zechen …“

Dann hatten wir Sozialkunde bei Frau Katesch. Sie betrat den Raum ernst. Nach einer kurzen Begrüßung verlangte sie von uns unsere Hefte hervorzuholen, denn sie wolle ein Extemporale schreiben. Wir murrten alle lauthals und machten unseren Unmut Luft, aber nur zu unserer Banknachbarin. Margit meldete sich, stand auf und sagte: “Frau Katesch das ist ungerecht. Keine Mitschülerin hat sich auf heute vorbereitet, wenn wir diese Ex schreiben wird der Notendurchschnitt von den meisten meiner Schulkameradinnen schlechter.“ Frau Katesch lächelte etwas säuerlich und meinte das macht nichts. Wir schreiben trotzdem die Ex und fing an die Blätter auszuteilen. Margit wandte sich an die ganze Klasse: “Wenn keine von euch den Stift in die Hand nimmt und schreibt kann uns nichts passieren, wir müssen nur zusammenhalten.“

Frau Katesch wurde erst rot und dann blass. Sie befahl kurz: „Anfangen!“  Keine unserer Kameradinnen nahm ihren Stift in die Hand und schrieb. Wutschnaubend verließ Frau Katesch das Klassenzimmer und holte die Direktorin. Schwester Mediatrix strahlte von ihrem ganzen Wesen Autorität aus und versuchte uns einzuschüchtern: „Wenn ihr nicht augenblicklich eure Stifte in die Hand nehmt, bekommt die ganze Klasse einen Direktoratsverweis!“

Margit stand auf und schaute Schwester Mediatrix tief in die Augen: „Nein, wenn keine von uns auch nur ein Wort schreibt, haben Sie keine Handhabe.“ An uns gerichtet: „Es wird keinen Verweis geben, wenn wir zusammenhalten und die Ex einfach nicht bearbeiten.“

Wir, diese Klasse 8 b, waren eine Einheit. Manchen von uns zitterten vor Aufregung die Hände, aber keine Klassenkameradin nahm ihren Stift in die Hand. Tatsächlich gab es keine Konsequenzen.

Dieses Beispiel hat tiefe Spuren in mein Bewusstsein gegraben. Ich durfte lernen, dass Zusammenhalt eine unschlagbare, friedliche Waffe ist und die Geschichte der ehemaligen DDR hat uns gezeigt, dass friedlicher Widerstand erfolgreich ist.

(c) Juli 2023 | Dank an Sarah-B bei Unsplash für das Foto